Ich bin ein Alien

20.Oktober 1967

Ich stamme aus einer Welt die zumindest für meine Begriffe noch in Ordnung war. Mädchen waren Mädchen und Jungs waren Jungs. Mädchen trugen rosa, Jungs hellblau. Jungs spielten Fussball, Mädchen mit Puppen. Mädchen hatten lange Haare, Jungs hatten kurze. Für uns war es nur logisch dass ein Mädchen einen Jungen liebte und ein Mann eine Frau heiratete. Wir kannten es nicht anders.

Wir sprachen Deutsch. Schweizerdeutsch. Kein Balkanesisch, kein Denglisch und auch keinen Bosporus Dialekt. Was bei uns natürlicher Bewegungsdrang und Neugier war, nennt man heute ADHS. Wenn ich frech war, dann gab es was hinter die Ohren. Man lehrte mich Respekt vor dem Alter zu haben und meine deutsche Schäferhündin lehrte mich Verantwortung zu übernehmen und Tiere zu lieben. Wenn ich eine Klassenarbeit verbockt hatte, dann war das mein Problem. Denn wer sonst ausser mir sollte daran schuld sein?

Meinen Eltern wäre es niemals in den Sinn gekommen meinen Klassenlehrer damit zu nerven, dass ich ein verkanntes Genie sei. Für meinen Schulweg war ich selber verantwortlich. Niemand hat mich hingefahren. Niemand hat mich abgeholt. Ich habe mich hin und wieder geprügelt. Aber wenn der Gegner am Boden lag war Schluss. Kein Nachtreten, kein Kickbox. Gegner am Boden = GAME OVER.

Wir hatten weder Playstation noch Fernsehen mit 100 Kanälen. Wir hatten Freunde. Wir brauchten keine Energy Drinks um auf Bäume zu klettern, ein paar Dutzend mal den Block auf den Rollschuhen zu umrunden, oder um sonstwas verrücktes zu tun.

Wir wuchsen mit Grossmutters Köstlichkeiten auf wie Bratspaghetti und gebratene Kartoffelpuffer mit selbstgemachtem Apfelmus. Meine Omi buk den besten Zopf den ich je gegessen habe. Grossvater und ich bauten eine Seifenkiste zusammen. Kaputtes wurde nicht einfach weggeschmissen sondern Papa oder Mama brachten uns bei wie man das repariert.

Und kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, den Leuten zerrissene knöchelfreie Hochwasser-Jeans zu Mondpreisen anzubieten. Das kommt nur jemandem in den Sinn der genauso dreist ist wie seine Kunden dumm sind.

20.Oktober.2019

Ich schaue aus dem Fenster und sehe lauter Idioten. Sie fummeln ständig an ihren Handys rum. Als gäbe es da was weiss ich spannendes zu sehen.  Jemand der gerade nicht am Handy rumfummelt fällt einem sofort auf. Was gibt es denn da so spannendes? Sind die in einem Chat? Posten die was auf Instagram oder sind sie am twittern?

Ich sitze im Bus und zwei Reihen hinter mir ist einer der gerade gut vernehmbar telefoniert. Das Privatleben dieses Mannes interessiert mich von zwölf bis Mittag. Und es stört mich dass er mich unfreiwillig daran teilhaben lässt. Meine Telefongespräche sind Privatsache. Das geht niemanden etwas an.

Ich sehe Jugendliche die Energy Drinks nuckeln. Wozu brauchen die all die Energie? Die Energy Drinks schmecken scheusslich. Nach flüssigen Gummibärchen. Diese überzuckerten Milchgetränke sind mindestens genauso schlimm. Fettleibigkeit und Diabetes sind vorprogrammiert.

Ich lese die News im Internet. Mir fällt auf dass immer weniger Leute sauberes Deutsch beherrschen. Kaum einer kennt mehr die Unterschiede zwischen das und dass oder auch seid und seit. Niemand scheint mehr Bücher zu lesen.  Facebook ist übersät mit Rechtschreib und Grammatikfehlern. Die Leute kapitulieren vor dem kleinen Einmaleins. Werden wir eigentlich immer dümmer?

Man kann kaum noch was sagen ohne damit rechnen zu müssen gesperrt zu werden. Ich finde es nicht gut die Tore in mein Land sperrangelweit offen zu halten. Stehe ich für mein Land ein, dann werde ich von weltfremden grünen Maden als Nazi beschimpft.

Spätestens ab 40 findet man in diesem Land keine Arbeit mehr. Dafür liest man auf jedem zweiten Namensschild einen Namen von dem man nicht mal weiss wie man das ausspricht.

In der IT wimmelt es von Deutschen. Am Telefon werde ich aufgefordert Hochdeutsch zu sprechen. Deutschland ist bereits im Arsch. Und wenn wir nicht acht geben geht es uns bald genauso.

Ich bin keiner dieser Ewiggestrigen die ständig auf Facebook posten, wie schön es war in den 70ern aufzuwachsen. Aufgeschlagene Knie zu haben und Seifenkisten ohne Bremsen zu bauen. Nein. Die Mode der 70er war scheusslich. Und dann erst noch diese grubengrässliche Disco Musik.

Aber es gab niemanden der andere Leute die Treppe runterschubste. Keiner der Kinder vor fahrende Züge warf. Keine 10jährigen bei denen das Wort Hurensohn zum Stammvokabular gehörte.

Ich liebe die Innovationen die wir heute geniessen. Computer, Handys, Autos die deutlich weniger verbrauchen und dabei weniger Abgase ausstossen. Aber ich komme mir immer mehr vor wie ein Ausserirdischer. Als wäre ich ein Relikt aus einer völlig anderen Zeit.

Ich habe den Eindruck die ganze Welt um mich herum ist verrückt geworden. Ich komme mir vor als wäre ich einer der letzten die hier noch über gesunden Menschenverstand verfügen.

Ich frage mich oft ob ich ich alleine damit bin oder ob es anderen auch so geht.

 

 

 

 

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